"Going to the mountains is like going home."
–John Muir
Neun Monate sind vergangen seit wir vom Pacific Crest Trail zurückgekehrt sind. Neun Monate in denen wir das Trailleben sehnlichst vermisst haben! Das tägliche Laufen, unser kleines Zelt, das Leben unter freiem Himmel, einfach alles was zum PCT dazu gehört – na gut, vielleicht nicht so sehr die Idahoan Mashed Potatoes.
Nun ist es endlich soweit: Der Rucksack ist wieder gepackt und morgen in aller Frühe fliege ich zurück in die Staaten, um durch die High Sierra zu wandern. Durch die krassen Schneefälle im letzten Jahr, die unter anderem zu extrem hohen Wasserständen und reißenden Gebirgsflüssen geführt haben, mussten wir einen Teil der Sierra skippen. Diese Meilen wollen wir uns jetzt "zurückholen" :-)
Leider können Malin und ich diesmal nicht zur gleichen Zeit Urlaub nehmen (schluchtz...) und so bilde ich im Juli zusammen mit Salamander sozusagen die Vorhut, während Malin im August mit Vampire Hunter folgen wird.
Also dann: See you on the trail...
Um von South Lake Tahoe zum PCT zu gelangen, muss man etwa 8 Meilen den Highway 50 runterfahren. Wir haben Glück und kaum dass wir den Daumen raushalten, hält auch schon ein netter älterer Mann, der mit seiner Hündin auf dem Weg nach Sacramento ist, an und nimmt uns das Stückchen mit. Am Echo Summit Trailhead steigen wir aus, mit einem breiten Grinsen im Gesicht als wir das erste PCT Schild an einem Baum entdecken.
Zunächst geht es ein Weilchen gemächlich geradeaus, aber schon bald beginnt der erste staubig steinige Anstieg. Und so soll es auch bleiben, die Sierra ist nicht gerade ein Spaziergang.
Die erste Nacht verbringen wir auf einer blühenden Wiese in der Nähe der verlassenen Meiss Cabin. Ein kleiner Fluss plätschert durch das Tal und die Blütenpracht ist einfach herrlich. Ein Traum — wären da nicht die Milliarden von aggressiven Moskitos. Gerade als wir es uns gemütlich gemacht haben und darauf warten, dass das Trekkinglunch fertig gart, wird es so richtig schlimm. Trotz Kopfnetz und Regenjacken werden wir ordentlich zerstochen. Ok, verstanden. Ab da an meiden wir die frischen Wiesen und suchen uns gezielt Zeltplätze an windigen Stellen oder auf sandigen Plateaus, wo sich die Moskitoplage zumindest etwas in Grenzen hält.
Umso schöner ist der Sternenhimmel in der Sierra. Obwohl ich ohne Kontaktlinsen nachts ungefähr soviel sehe wie ein Maulwurf tagsüber, bin selbst ich einfach hin und weg von der Sternenvielfalt über den Bergen.
Die nächsten Tage geht es immer hoch und runter, über felsige Pässe und Sättel und durch saftige Täler mit gelben, violetten, weißen und vereinzelt roten Wildblumen. Ab ca. 3.000 Metern Höhe treffen wir noch auf Schneefelder. Durch die krasse Sonnenstrahlung wird der Schnee jedoch im Laufe des Vormittags immer sulziger. Tagsüber wird es unglaublich heiß, selbst in den hohen Lagen steigt das Thermometer an einigen Tagen auf 100°F, das macht uns in Kombination mit der Steigung schon ganz schön zu schaffen. Nachts hingegen friert es und wenn wir gegen 6 Uhr aus den Schlafsäcken kriechen, liegt noch Raureif auf den Gräsern.
An einem Abend, nach einem längeren Anstieg, entscheiden wir uns noch etwas weiter am Ebbetts Pass vorbei zu laufen. Eine sehr gute Entscheidung! Denn als wir die Passstraße queren, erwartet uns dort eine geniale Trailmagic. Ein älteres Ehepaar aus einem nah gelegenen Bergdorf grillt Hot Dogs für die Hiker, außerdem gibt es eisgekühlte Sodas und jede Menge frische Melonen. Wir unterhalten uns lange mit den beiden, treffen noch vier andere Hiker, die in die entgegengesetzte Richtung unterwegs sind und sind mal wieder völlig überwältigt von der Herzlichkeit der Menschen hier.
An diesem Abend haben wir außerdem einen wunderbaren Campspot auf einem Felsvorsprung mit Blick auf die schneebedeckten Gipfel. Ein puscheliges Murmeltier ist unser Nachbar.
Bevor wir zum Sonora Pass kommen, gilt es noch den Saddle above Noble Lake hochzuklettern. Die letzten Meilen in der Mittagshitze sind ziemlich zäh, aber dafür liebe ich das Gefühl, wenn man endlich den Rücken des Passes überquert und ins nächste Tal blickt. Salamander ist leider etwas angeschlagen und so fällt ihm das Bergsteigen diesmal ziemlich schwer. Trotzdem kommen wir recht gut voran und erreichen unsere geplanten Meilen.
Der Aufstieg zum Sonora Pass ist von nördlicher Richtung aus etwas steiler. Zunächst verläuft der Trail durch waldiges Gebiet, folgt dann dem sprudelnden Carson River, bevor er sich langsam in die schrofferen Höhen schlängelt. Am höchsten Punkt saust uns ordentlich der Wind um die Ohren — eine willkommene Abkühlung. Der Blick ins Tal und auf die gegenüberliegenden Berge ist mal wieder atemberaubend. Nach einer wohlverdienten Pause mit Tunfischtortillas geht es in sandigen Serpentinen wieder bergab, ehe wir unseren Ausstieg am nächsten Highway erreichen.
Auf dem PCT vollkommen normal: Hitchhiken. Ohne die freundlichen Autofahrer/innen, die uns Wanderer vom Trail aus zum "Resupplyen" mit in den nächsten Ort nimmt, wären wir oft ziemlich aufgeschmissen. Während der PCT in der Wüste noch regelmäßig an kleineren Versorgungspunkten entlangläuft, sind die Raststätten, Ranchen oder kleineren Ortschaften im folgenden Teil meist weiter vom Trail entfernt. Um vom Sonora Pass aus nach Bridgeport zu gelangen, bedarf es zum Beispiel einer fast einstündigen Autofahrt inklusive aktueller Baustellenverzögerung. Erst geht es eine lange, kurvige Bergstraße (die wegen Schnee oft bis Juni oder gar länger geschlossen ist) hinunter und dann noch etwa 17 Meilen den nächsten Highway entlang.
Manchmal hat man Glück und es hält recht schnell ein Auto an, an einsameren Straßen kann es aber auch schonmal eine oder mehrere Stunden dauern, bis jemand hält.
Wir treffen am Sonora Pass auf eine Thruhikerin aus den Südstaaten, die bereits seit über einer Stunde am Highway wartet. Wir stellen uns auf eine längere Wartezeit in der Hitze ein, doch schon 10 Minuten später fährt ein Mann in einem bunten Batikshirt rechts ran und nimmt uns alle mit die Bergstraße hinunter. Er erzählt, dass er als ITler in Silicon Valley arbeitet und das Wochenende in der Sierra verbringt. Als er vom Trail erfuhr, wollte er gerne mal ein paar Hiker kennenlernen. Ich würde mal sagen, ein Win-Win-Situation!
Da Salamander noch etwas Ruhe braucht, entschließen wir uns dazu, ab Bridgeport für ein paar Tage einen Abstecher zu unterschiedlichen Nationalparks östlich der Sierra Nevada zu machen und anschließen auf den PCT zurückzukehren. Doch dafür müssen wir zuerst einmal aus dem kleinen Westernort Bridgeport wegkommen. Es ist Samstag und der einzige Bus fährt erst wieder am Montag. Das dauert uns zu lange und so stehe ich am nächsten Morgen wieder mit dem Daumen hoch am wenig befahrenen Highway. Eigentlich erscheint mir die Stelle am Ortsausgang mit der langen Haltebucht perfekt — wären da nicht die lästigen Feuerameisen, die mir ständig an den Beinen hochkrabbeln und einfach ganz fies brennen.
Nach etwa 40 Minuten hält ein klappriger, alter Minivan an.
Wir lernen die liebenswerte Mary Grace kennen, die uns mit in den nächst größeren Ort mit Busanschluss nimmt, Carson City. Ihr Minivan hat nur zwei Vordersitze, daher macht es sich Salamander mit unseren Rucksäcken hinten auf dem provisorischen Bett zwischen bunten Kissen und einer Holzkiste mit ein paar zerlesenen Büchern bequem. Mary Grace ist etwa Ende zwanzig, kommt aus Detroit und lebt seit ein paar Monaten on the road in ihrem Auto. Derzeit jobbt sie auf einer Pferde-Ranch in der östlichen Sierra, ansonsten fährt sie durch's Land auf der Suche nach besonderen, inspirierenden Orten, wie sie uns erzählt.
Wir unterhalten uns u.a. über die vielen Orte, die sie schon besucht hat, über das Leben in den Staaten, unsere verrücktesten Hitchhikes und natürlich den PCT. Und obwohl es ein 20 minütiger Umweg für sie ist, bringt Mary Grace uns noch direkt bis zur Haltestelle in Carson City. Wir wollen ihr gerne Spritgeld für die anderthalbstündige Fahrt geben, aber das lehnt sie kategorisch ab und sagt, dass sie sich einfach nur über die Gesellschaft gefreut hat. Das können wir von Herzen erwiedern. Es sind oft diese kurzen, aber intensiven Begegnungen und Unterhaltungen auf Reisen, die einem spöter am stärksten in Erinnerung bleiben.
Zwischen der Sierra Nevada und den Rocky Mountains liegt das Great Basin. Eine gigantische wüstenartige Ebene, die keine Verbindung zum Meer hat. Das bedeutet, dass es keinen Abfluss gibt und alles Wasser, welches aus Flüssen oder in Form von Niederschlägen ins Becken gelangt, dort versickert. Im Nature Center lernen wir, dass in diesem Gebiet für gewöhnlich große Trockenheit herrscht, der meiste Niederschlag fällt in Form von Schnee.
Unterhalb des Gipfels des 3.982 m hohen Wheeler Peaks im Great Basin National Park gibt es einen kleinen Hain mit uralten Bristlecone Pines (Kiefern). Sie wachsen dort in der Höhe seit vielen tausenden von Jahren und gelten als die ältesten Lebewesen auf der Erde. Bei im Tal noch knappen 40°C und weiter oben angenehmen 25°C steigen wir den Berg hoch (...ja, wir kommen mit Wanderpausen nicht wirklich klar). Am Rande eines großen Eisfeldes inmitten der schroffen, felsigen Berglandschaft stehen die vom UV-Licht und der Vegetation gezeichneten, knorrigen Bäume. Fast schon ehrfürchtig berühren wir die alten Stämme. Und dann fängt es plötzlich in Strömen an zu regnen! Ein freundlicher Bristlecone Pine gewährt uns Schutz, während wir den monsunartigen Regen abwarten.
Weiter geht es nach Utah, wo wir zunächst eine Canyontour im Bryce National Park unternehmen und anschließend weiter nach Zion fahren. Tagsüber ist es wieder sehr heiß und wir beschließen, dass eine Wanderung durch die Virgin River Narrows genau richtig ist! Der tiefe Canyon wird (wie der Name "The Narrows" ja schon vermuten lässt) immer enger, je weiter man den Fluss aufwärts läuft. Etwa 13 km kann man gegen die Strömung den Fluss hochwaten. Bei Sturm ist diese Wanderung nicht zu empfehlen, da das Wasser schnell steigen kann, aber noch ist alles ruhig und sonnig.
Am frühen Abend, als die Hitze etwas erträglicher ist, steigen wir Angels Landing im Zion hoch. In 21 Switchbacks geht es den Berg hoch, dann folgt eine kleine Kletterpartie teils mit Sicherungsketten bevor man den steilen Grat erreicht. Gerade als wir uns an den Ketten hochhangeln dröhnt Donner durch die Berge und kurz darauf bricht ein gewaltiger Thunderstorm aus. Nach einem schnellen Rundumblick vom Grat in den tiefen Canyon eilen wir den Berghang wieder hinunter. Der Sturm ist ganz plötzlich aufgezogen und hat dunkle Wolken mitgebracht, die nun von eindrucksvollen Blitzen durchzogen werden. Der darauf folgende sturzflutartige Regen löst Erdrutsche aus, was zu einer vorübergehenden Schließung des Nationalparks führt. Was für ein Timing mal wieder!
Durch's Death Valley und die nördlichen Ausläufer der Joshua Trees geht es zurück in die östliche Sierra.
Ein Meer aus Wildblumen...
Die Ansel Adams Wilderness erstreckt sich etwa bis Red's Meadows, wo sie in die John Muir Wilderness übergeht. Zu dieser Jahreszeit dürfen wir eine einfach umwerfend schöne Mischung aus schroffen Bergmassiven mit den letzten schmelzenden Schneefeldern, klarblauen Gletscherseen und unzähligen, farbenprächtigen Wildblumen in den Tälern und an den Hängen erleben.
Kurz unterhalb des Island Passes liegt der Thousand Island Lake, der es mir besonders angetan hat: Er ist nämlich nicht nur wunderschön gelegen, sondern auch flach genug, um ein entspanntes Bad in der Mittagspause zu nehmen. Die tieferen Seen in der Sierra sind einfach eisig kalt, sodass man höchstens mal schnell mit vor Kälte verzerrtem Gesicht zum Waschen untertauchen kann. Der Thousand Island Lake hingegen ist richtig angenehm und erfrischend. Und auch wenn es keine tausend sind, so hat der See doch viele kleine Inseln mit flachen Felsen auf denen man nach dem Schwimmen herrlich in der Sonne liegen kann.
Der PCT ist ein ständiges auf und ab und leider sind die Moskitos nach wie vor so aggressiv, dass wir eigentlich nur auf windigen Bergrücken oder Plateaus längere Pausen einlegen. Zum Glück gibt es aber auch nettere Tierbegegnungen. Zwischen den Felsen ab ca. 3.000 m Höhe tummeln sich immer wieder puschelige Murmeltiere. Auch ein paar Schlangen und Echsen und natürlich die überall präsenten wuseligen Erdhörnchen bekommen wir zu sehen. Gegen Abend laufen uns Rehe auf dem Trail entgegen, die erstaunlicherweise kein Stück scheu sind, sondern uns ebenso neugierig beobachten, wie wir sie. Die Sierra erscheint nach der Schneeschmelze voller Leben.
Auf Höhe von Mammoth Lakes befindet sich "Devil's Postpile". Ein beeindruckender Berg aus sechseckig geformten Basaltsäulen, die durch einen Vulkanausbruch vor rund einhunderttausend Jahren entstanden sind und während der letzten Eiszeit freigelegt wurden. Es soll die gleichmäßigst geformteste Formation dieser Art auf der Welt sein. Gut möglich — für mich sehen die oberen Flächen der Säulen fast schon künstlich aus, wie Terassenfliesen (siehe Foto).
In Red's Meadows gibt es einen kleinen Campground mit ein paar Holzhütten und General Store. Da das Mammoth Lakes Skigebiet in der Nähe ist, fährt auch ein Shuttlebus in den Ort.
In Independence wartet eine Überraschung auf uns: Unser PCT Freund Flatfoot aus Louisiana, mit dem wir letztes Jahr viel zusammen gewandert sind, hat uns zwei Resupply Pakete an eine Moteladdresse geschickt! Neben dem typischen Trailessen sind sogar noch meine Lieblingsbonbons, ein paar Tüten Hot Apple Cider und Reeses dabei, thank you Flatfoot! Und so starten wir mit gut gefüllten Bärenkanistern in Richtung Kearsarge Pass.
Es dauert eine Weile bis uns ein Auto die kurvige Straße zum Trailhead mit hochnimmt. Letztlich nimmt uns eine fröhliche Familie mit, die ihre Tochter und deren Freundin zum Wandern in die Berge bringt. Dann geht es bei bestem Sonnenschein los, immer bergauf. Diese Etappe führt uns über zwei Pässe, den Kearsarge Pass und anschließend Forester Pass, mit knapp über 4.000 m der höchsten Punkt auf dem PCT, sowie abschließend auf Mt. Whitney, den höchsten Berg in den Lower 48.
Zusammen mit uns reiten zwei Cowboys mit Maultieren den Trail zum Kearsarge Pass hoch. Sie bringen Versorgungslieferungen in die High Sierra. Der Weg ist mäßig steil, zieht sich aber ganz schön. Die Reiter motivieren uns und die Tiere mit ihren zwinkernden "nice and slow and steady" Zurufen. Hinter dem Pass trennen sich unsere Wege und wir steigen am Hang des Glen Passes nach Süden hin ab, entlang vieler kleiner Seen. Unten angekommen geht es direkt wieder hoch, Richtung Forester Pass.
Diesen nehmen wir am nächsten Morgen in Angriff. Es liegt mittlerweile kein Schnee mehr, nur einige Felder mit gefrorenen Hagelkörnern vom gestrigen Gewitter. Der Aufstieg von der Nordseite ist etwas höher, aber insgesamt gut zu schaffen. Viel besser, als erwartet! Wir kommen an blühenden Bergwiesen, hellblauen Gletscherseen und später krassen Felsformationen vorbei. Als wir den Sattel des Forester Passes erreichen, ist schon ein Grüppchen von John Muir Trail Hikern dort und es ist nicht viel Platz auf dem schlanken Pass. Wir plaudern ein bisschen und dann geht es für uns an der Südseite wieder runter ins nächste Tal.
Jeden Tag erleben wir den gleichen Ablauf: Morgens ist kein Wölkchen am Himmel zu sehen und es sieht nach einem perfekten Sommertag aus. Gegen Mittag ziehen dann ganz plötzlich dunkle Wolken auf und gegen 13:30 rollt der Donner näher. Nachmittags gibt es dann heftigste Gewitter und sintflutartigen Regen. Gegen Abend ist alles vorbei und der Himmel wieder komplett klar. — Typical monsun season, sagen die Einheimischen. Das haben wir letztes Jahr nicht einmal erlebt. An einem Abend campen wir an einem Hang und der Regen löst eine kleine Schlammlawine aus, die alles unter unseren Zeltapsiden wegspült. Herrlich, so ein kalifornischer Sommer...
Am darauffolgenden Tag folgen wir dem PCT über das Bighorn Plateau bis Crabtree Meadows und schlagen dann den Weg zum Mt. Whitney ein. Ein paar Meilen steigen wir noch am frühen Nachmittag (vor dem nächsten Thunderstorm) auf und campen dann am Guitar Lake. Hier tummeln sich mal wieder die Murmeltiere auf den Felsen und wir genießen die alpine Landschaft.
Da wir den Sonnenaufgang auf Mt. Whitney erleben wollen, bauen wir in aller Frühe unser Zelt ab und starten bereits um 1:15 mit dem Aufstieg. Es ist noch mehrere Stunden dunkel und wir laufen mit Stirnlampen. Über uns leuchten Milliarden von Sternen mit dem fast vollen Mond um die Wette.
Der Weg ist hinter Guitar Lake oft schwer zu finden und durch die starken Regenfälle zum Teil völlig überschwemmt. Schnell sind die Schuhe durchnässt. Dann fangen die Serpentinen an, die sich immer höher den steinigen Berghang hochschlängeln. Plötzlich leuchten mir im Schein meiner Stirnlampe zwei funkelnde Augen entgegen und ich kann nur wage einen größeren Tierkörper erkennen. Wir sind bereits auf 3.700 m, links ist die steile Bergwand, rechts der Abgrund, und ich denke, oh Gott ein Mountain Lion! Trotz Rufen und Blinken mit der Lampe lässt sich das Tier nicht verscheuchen. Als wir ein paar Schritte weiter auf es zu gehen, erkennen wir, dass es bloß ein Hirsch ist, der sich in diese raue Gegend gewagt hat — puh!
Nach ca. zwei Stunden erreichen wir die Whitney Junction. Hier beginnen die letzten 3 km über einen Grat zur Spitze des Whitneys. Wir essen schnell eine Portion Müsli und dann geht es weiter. Der Mond ist mittlerweile nicht mehr sichtbar und es ist wirklich pechschwarz um uns herum. Der Grat wird immer enger und an einigen Stellen geht es an beiden Seiten in die dunkle Tiefe. Ziemlich schwindelerregend... Wir kraxeln über die Felsen und nähern uns endlich dem Ziel. Um 4:50 stehen wir auf dem Gipfel — 4.421 m, mein bisheriger persönlicher Höhenrekord. Wir sind die ersten auf der Spitze. Es ist eisig kalt. Bis zum Sonnenaufgang dauert es noch eine dreiviertel Stunde. Wir kuscheln uns in unsere Schlafsäcke, ziehen alles an, was wir dabei haben, und warten auf die Sonne... Zwei andere Männer kommen an und leisten uns Gesellschaft. Dann beginnt das Naturkino und der rote Streifen am Horizont leuchtet immer intensiver, bis langsam die Sonne die Berggipfel erleuchtet. Der Ausblick ist einfach grandios! Wir stehen auf dem höchsten Berg der Sierra (sogar dem höchsten Berg Amerikas, mit Ausnahme von Alaska) und können auf die sonst so gewaltig erscheinenden Berge um uns herum herabblicken. Jetzt ist es auch hell genug für das obligatorische Gipfelfoto.
Aber langsam wird es kalt — Zeit für den Abstieg. Im Tageslicht wirkt der Grat noch einmal ganz anders. Erst jetzt erkennt man, wie riesig die Geröllfelder und wie zackig die Bergspitzen sind. An der Whitney Junction nehmen wir diesmal den Weg zum Whitney Portal runter, ein 17.5 km langer Abstieg. Mittags springen wir zur Abkühlung (mittlerweile ist es wieder heiß) in den eisigen Lone Pine Lake. Dann noch ein paar Switchbacks und wir sind am Ziel unserer Tour angekommen! Diesmal hält gleich das erste Auto an der Ausfahrt vom Trailhead Parkplatz und nimmt uns mit runter nach Lone Pine. Über den Bergen sehen wir schon wieder die ersten Blitze...